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Raub der Sabinerinnen

Bernd Göbel

Entstehungsjahr:1985

Material: Bronze

Standort: Breiter Weg (vor der Nord/LB)

Die Figurengruppe von Bernd Göbels Raub der Sabinerinnen stand unweit des Doms am Breiten Weg ursprünglich weitgehend ohne Beziehung vor den hier von der Straße weit abgerückten Wohnblocks in Plattenbauweise. Im nahen Spiegel der Glasfassade des  im Jahr 2002 neu erbauten Bankgebäudes, in dem sie sich optisch mehr als in der Wirklichkeit unter die Passanten mischen, scheinen sie erst jetzt zum Leben erweckt worden zu sein.

Es lohnt sich, die eigentliche Geschichte zum Raub der Sabinerinnen aus der römischen Mythologie nochmals zum tieferen Verständnis zu repetieren. Romulus, Sohn des Kriegsgottes Mars, im Tiber ausgesetzt, von einer Wölfin gesäugt und von einem Hirtenpaar aufgezogen, gründete nach militärischer Besetzung auf dem Berg Palatin die Stadt Rom. Woran es der Stadt mangelte, waren erklärlicherweise Frauen. Das änderte sich nicht dadurch, als Romulus seinen Bruder Remus erschlug, weil der zum Jux die Stadtmauer übersprungen und so die Verletzlichkeit der militärischen Sicherung demonstriert hatte. So lud Romulus die im Umland siedelnden Sabiner zu Spielen ein, während denen er deren unverheiratete Töchter entführen ließ. In der daraufhin losbrechenden militärischen Auseinandersetzung stellten sich die Sabinerinnen zwischen die Kämpfenden. Was auf den ersten Blick nach Verrat riecht, spiegelt eine komplexe, durchaus ambivalente Situation. Indem die jungen Frauen sich zwischen die Fronten stellten, retteten sie das Leben ihrer militärisch vermutlich weit unterlegenen Väter und Brüder. Zugleich prüften sie ihren „Wert“ für ihre neuen römischen Männer und bewahrten sich, was nicht ohne Weiteres abzusehen war, das im Vergleich zum Viehzüchterdasein vermutlich bequemere städtische Leben.

Hier hakt Göbel mit seinem Bildprogramm ein. Er zeigt uns die Entführung in drei Phasen als einvernehmliche, dabei für beide Seiten durchaus problematische, Verführung und versucht das in Haltung und Physiognomie der Figuren psychologisch auszudeuten. Die Entführer - noch in der Anstrengung lässig, abwägend in der Werbung, jedenfalls nicht forsch, sentimental, weinselig in der Hingabe - sind keine Monster, die Frauen - fast gelöst und erleichtert während der Flucht, nachdenklich gegenüber dem zweideutig mit einem goldenen Apfel Werbenden, skeptisch, beobachtend noch im eher braven, kleinbürgerlichen Bacchanal - sind keine Vergewaltigten. Historisch konkret lässt sich die Arbeit Göbels als künstlerischer Kommentar zu den von beiden Seiten politisch funktionalisierten deutsch-deutschen Wanderungsbewegungen der Jahre bis 1989 verstehen. Ohne diesen speziellen Bezug lebt sie vor allem aus der Spannung der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten zwischen Mythos und Realität. (N. Eisold)